Dem Trubel der Großstadt einfach entfliehen – das war die Motivation einer jungen Familie aus Wien, sich ein Ferienhäuschen auf dem Land zu bauen. Stilistisch standen „Forest Retreats“ Modell – also hüttenartige Zufluchten im Wald. Gebaut wurde nach Plänen von Architekt Andreas Etzelstorfer im nahegelegen Waldviertel, einem ländlich geprägten Gebiet, das von Wien aus in weniger als einer Stunde erreichbar ist. Die Herausforderung lautete „minimalinvasiver“ Ansatz: Beim Bau sollte so wenig wie möglich in die Natur eingegriffen werden, das fertige Haus sollte sich harmonisch in die Umgebung einfügen, bei Materialeinsatz und Verarbeitung die Ökologie im Vordergrund stehen. Um das zu erreichen, griff der Architekt auch auf uralte Handwerkstechniken zurück.Wolkersdorf, 23.04.2024 - Am Ende der Straße steht ein Haus am See: Eine junge Familie aus Wien schuf sich in nur vier Monaten Bauzeit im ländlichen Waldviertel eine Basis für entspannte Auszeiten in der Natur. Hier verbringen Johanna Plank, David Lemberger und ihre Tochter Elena* jedes freie Wochenende. Nur wenige Meter trennen ihr Ferienhaus vom Ufer des idyllischen Stausees. Ein idealer Startpunkt zum „Schwammerlsuchen“, Eislaufen, Fischen und für kleine Wanderungen in die umgebenden Wälder. Konsequenterweise wird auch das umliegende Grundstück so wenig wie möglich bewirtschaftet. Umgeben ist der Neubau deshalb von nahezu unberührtem, üppigen Grün, von dem er sich mit klaren Konturen und dunkler Farbgebung abhebt, ohne wie ein Fremdkörper zu wirken. Optisches Vorbild für den nahezu komplett mit Lärchenholz verkleideten, fast schwarzen Holzbau waren die typischen Waldviertler Scheunen und Stallungen. Nach alten Überlieferungen entstand die charakteristische Farbe ursprünglich durch einen Ochsenblut-Anstrich. Einen optischen Kontrast zum dunklen Holz erzeugt, von außen betrachtet, nur das Kellergeschoss aus Sichtbeton, das sich in den Hang gräbt und die horizontale Dimension des Hauses aufmacht.
Die Voraussetzungen für den Bau waren für Architekt Andreas Etzelstorfer nicht nur aufgrund der gewünschten Naturnähe durchaus herausfordernd: Das 1.300 Quadratmeter große Grundstück der Familie liegt an einem dicht bewaldeten Nordhang, der steil zum Ufer hin abfällt. „Ein echtes Sonnenhaus zu bauen, war hier illusorisch“, erklärt Etzelstorfer. Mit einer geschickten Ausrichtung, stattlichen seitlichen Festverglasungen nach Süden und Osten sowie großzügiger Oberlichtzufuhr, sorgte der Architekt dafür, dass die drei Großstädter trotz der Lage im Haus Tageslicht und Wärme genießen können.
Das Dach: Feuer schützt vor Wasser
Aufgrund des hohen Schattenanteils auf dem Grundstück, kommt den beiden Velux Dachfenstern im Satteldach eine besonders wichtige Rolle zu: Sie sind – wie die Terrasse des Hauses – nach Süden ausgerichtet und bringen durch ihre Position über den Baumwipfeln besonders viel Tageslicht nach drinnen. Auch beim Lüften zahlen diese sich aus: Bei offenen Fenstern und gleichzeitig geöffneter Haustüre profitiert die Familie vom sogenannten Kamineffekt: Die warme, verbrauchte Luft im Inneren steigt nach oben und zieht durch die Dachfenster ab, während frische, kühlere Luft von unten ins Haus nachströmt. Um zusätzlich Energie zu sparen und den Heizaufwand in kalten Waldviertler Wintern zu reduzieren, wählten die Bauherren Dachfenster mit 3-fach Verglasung und die Ausstattung der Scheiben mit natürlichem Reinigungseffekt minimiert zudem den Putzaufwand.
Damit die beiden Dachfenster nicht über die Dachebene hinausragen, wurden diese in die Dachkonstruktion mit ihren drei Lattungsebenen eingepasst und fügen sich dank dieses vertieften Einbaus dezent in den monolithischen Baukörper ein. Für die farbliche Harmonie mit dem dunklen Holz auf der Außenseite sorgt eine graue Aluminiumverblechung. Die Dachlatten schließen sich seitlich ohne Dachüberstand an die Holzlatten der Fassadenverkleidung an und verdecken gleichzeitig dezent die Kastenrinne, die das Niederschlagswasser ableitet. Auch dieses Detail trägt zum harmonisch-geschlossenes Gesamtbild „aus einem Guss“ bei.
Ihre charakteristische Farbe erhielten Dach und Fassadenverkleidung durch eine mittelalterliche Handwerkstechnik, auf die Architekt Etzelstorfer zurückgriff: Das Ankohlen. Hierfür wurden die Lärchenholzlatten der äußeren Ebene von Dach und Fassade zunächst oberflächlich verbrannt und der Brandprozess dann durch Schocklöschen gestoppt. Hierdurch bildet sich an der Oberfläche eine wasserabweisende Verkohlungsschicht, die das Material gegen Witterung schützt. Eine anschließende Behandlung mit Öl verstärkt diese natürliche Schutzmaßnahme.
Das Innenleben: Minimalismus mit Komfortfaktor
Ganze drei Außentüren verbinden den Innenraum direkt mit der Natur. Einer der Wege ins Haus führt über die großzügige, nach Süden ausgerichtete Terrasse, die der Betonsockel des Hauses trägt. Sichtbeton und Holz prägen hier das Ambiente, das auch der großzügige Terrassen-Esstisch mit seiner Tischplatte aus Beton aufgreift. Auch im Inneren stellte der Wunsch der Bauherren, ökologisch und mit möglichst natürlichen Materialien zu arbeiten, die Weichen: Hier trifft die gewünschte Anlehnung an Forest Retreats, also hüttenartige, hölzerne Zuflüchte im Wald, auf skandinavische Klarheit. Die verwendeten Materialien wurden dabei so wenig wie möglich behandelt. Die mit Fichtenholz verkleideten Innenwände sind farblos geölt, auf dem Boden ist geschliffener Sichtestrich zu sehen.
Im großzügigen Hauptraum des Hauses dominiert tageslichtdurchflutete Offenheit. Er beherbergt unter anderem die hölzerne Küchenzeile, einen großen Esstisch mit rustikalem Berghüttencharme. Wie die meisten Möbel im Haus wurde auch dieser von einem Tischler gefertigt, wobei die Oberfläche ebenfalls möglichst wenig bearbeitet wurden. Fast die gesamte Ostfassade des Gebäudes nimmt ein Panoramafenster ein, durch das die glitzernde Oberfläche des Sees von überall im Raum zu sehen ist. Direkt davor ermöglicht ein Schreibtisch Arbeiten mit Weitblick. „Manchmal bringe ich Projekte aus dem Büro mit hierher. Vor allem kreative Aufgaben fallen mir hier leichter als in der Stadt“, erzählt David Lemberger. Der Hauptzweck des Hauses lautet jedoch „Erholung“, weshalb die Gemütlichkeit nicht zu kurz kommt: Ein stattlicher Kamin und komfortable Lesesessel laden ebenso wie das gut ausgestattete Bücherregal zum Entspannen und zu Momenten der Ruhe ein. Der Wandbereich um den Kamin bildet mit dem Boden und der Trennwand hinter der Essecke die einzige Material-Ausnahme in diesem Raum: Statt Holz wurden diese Bereiche aus Sichtbeton gestaltet, dessen raue horizontal strukturierte Oberfläche einen sanften Kontrast zur vertikalen Dimension der Holzverkleidung bildet.
Eine Holztreppe verbindet den Hauptraum mit der Galerie, die zusätzliche 36 Quadratmeter Wohnraum schafft und als Gästezimmer oder Rückzugsraum genutzt wird. „Wenn wir beim Spielen mit unserer Tochter auf dem Boden sitzen, blicken wir auf die Baumwipfel der umliegenden Hänge und nachts können wir durch die Dachfenster den Sternenhimmel beobachten – einfach herrlich“, schwärmt David Lemberger. Die Empore bildet gleichzeitig die Holzdecke für die rückwärtigen Räume: Neben dem Hauptraum verfügt das Häuschen über ein Duschbad, eine separate Gästetoilette und ein abgetrenntes Schlafzimmer: Das beherbergt – getreu dem Prinzip Reduktion auf das Wesentliche – neben einem großen Bett auch die Badewanne. Weil die südwestliche Wand dieses Raumes vollständig aus Glas besteht, profitiert die Familie selbst beim Baden vom Ausblick, den diese Festverglasung auf den Berghang freigibt: Draußen locken die saftigen Wiesen und dunklen Nadelbäume des Waldviertels. Für erholsamen Nachtschlaf lässt sich die Glasfront durch hölzerne Fensterläden verdunkeln.